Biografie II - enemy alien - unerwünschte Person

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Es folgen Jahre der Entbehrungen: bis vor kurzem hatten die Eltern ihre zahlreichen Auslandsaufenthalte finanziert, nun steht sie im fremden Land mittel- und arbeitslos da. Ihr einziges Kapital sind ihre Jugend, ihre ausgezeichnete Ausbildung und ihr Beharrungsvermögen. Erstmals erfährt die junge Emigrantin in aller Schärfe das sie nie mehr verlassende Gefühl der Heimatlosigkeit: You belong nowhere ... – du gehörst nirgendwo mehr richtig hin. Doch nie waren Entsetzen und das Gefühl des Entwurzeltseins größer als nach Kriegsende, als Erna Mandowsky vom Roten Kreuz erfährt, dass ihre Eltern Paula und Max, ihre ältere Schwester Dr. Annelise Mandowsky und die jüngere Schwester Charlotte Opfer des Holocaust geworden sind.

Sie musste emigrieren, ihr Vater, ihre künstlerisch begabte Mutter, deren Begabung Charlotte und Erna erbten, Annelise (Psychologin), wurden umgebracht, weil sie „jüdisch“ per Definition waren. Wie jüdisch waren sie? Sie selbst schreibt: „Was den jüdischen Glauben angeht (glaube ich), dass kein Mitglied meiner Familie, mich eingeschlossen, je eine Synagoge betreten hat. – Zuhause ... feierten wir immer Weihnachten, tauschten Geschenke aus und hatten einen großen Weihnachtsbaum – teils, aber nicht nur – wegen der „christlichen“ Hausangestellten.“

Um so wichtiger werden der Jüdin deutscher Herkunft Kunst und Forschung als geistige Bleibe und treue Begleiterinnen. Kontinuerlich veröffentlicht sie in italienischer und englischer Sprache in kunstwissenschaftlichen Fachorganen. Geschult im Sehen der “wandernden Motive” in Kunstwerken befaßt sie sich mit Gemälden der Nationalgalerie in London: z. B.

Sir Raimund Klibansky lernt sie in diesen Jahren in Oxford kennen. Seine Erinnerung im Jahre 1996: “Eine Wissenschaftlerin aus ganzem Herzen”.

1936 erhält Erna Mandowsky am Warburg-Instiute eine fotografische Ausbildung, die sie durch ein Stipendium in Wien vertiefen kann. Sie kehrt nach London zurück. Einige Male wird sie von britischen Freunden eingeladen und ist für einige Wochen ihr Gast. Es ist meist schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Letztlich entschied das Arbeitsministerum, welche Stelle eine Ausländerin/ein Ausländer besetzen durfte. Ihr künstlerisches Talent beweist Mandowsky mit Spielzeugentwürfen. Zwei britische Firmen, die verschiedene Entwürfe sehen, bieten ihr eine feste Position an. Aber das Arbeitsministerium verweigert die Zustimmung und sie kann keine dieser Chancen wahrnehmen. Hin und wieder verkauft sie einige ihrer Spielzeuge an britische Freunde. Wie gern hätte sie jetzt noch ein einziges Exemplar davon!

Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt mit privaten Deutschstunden, sie recherchiert für amerikanische Wissenschaftler und arbeitet in kriegswichtigen Fabriken. 1939 absolviert sie ein Praktikum für mikroskopische Fotografie in einem Londoner Krankenhaus. Schließlich ist sie tätig für eine Microfilm-Firma als “film librarian” und fertigt für europäische Medizinbibliotheken und -institute Microverfilmungen an. Die “Idioten” (Panofsky) hatten den gesamten Kontinent in den Kriegszustand versetzt und als enemy alien wird sie nun auch verpflichtet, “freiwillige zivile Hilfsdienste im Krieg” zu leisten. Henry Cole, der erste Direktor des Victoria & Albert-Museums wird gern zitiert mit seiner Diktion: das Museum soll ein “schoolroom for everyone” werden. Aus einer völlig anderen Perspektive erfährt dies Erna Mandowsky: Einmal in der Woche hält sie mit einem anderen Mitglied der Museums-Belegschaft bei der freiwilligen Feuerwehr Feuerwache auf der obersten Etage des Victoria & Albert-Museums im Stadtzentrum von London, während sie in den zahlreichen Nächten deutscher Bombenangriffe um das Haus mit ihrem möblierten Zimmer bangt, das zum Glück unbeschädigt bleibt.

Nach dem Krieg bewohnt sie in der Nähe von Wembley Park eine winzige zweiräumige Wohnung, deren Bad sie mit zwei anderen Mieterinnen teilt.

Bis 1948 setzt sie ihre Tätigkeit als “film librarian” in der “Royal Medical Society” in London fort, wo viele europäische medizinische Veröffentlichungen, von denen es zu wenig Exemplare gab, auf Film übertragen wurden.

Im Jahr 1948 erhält sie endlich die britische Staatsbürgerschaft. Im selben Jahr wird ihr die “Aurelia Henry Reinhardt Fellowship” der “American Association of University Women” verliehen und ermöglicht ihr einen einjährigen Forschungsaufenthalt in den Medici-Sammlungen in Florenz.

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