Biografie I - Kindheit / Schule / Studium

Erna Mandowsky wird am 19. November 1906 in Hamburg geboren. Ihre Eltern gehören zur bürgerlichen Mittelschicht. Der Vater Max Mandowsky ist Inhaber der „Apotheke zum Freihafen“, die Mutter Paula geb. Wienskowitz, stammt aus dem Bildungsbürgertum der Hansestadt. Erna hat zwei Schwestern: die ältere Schwester Annelise und die jüngere Schwester Charlotte. Die Kinder besuchen die Klosterschule St. Johannis. Erna wechselt Ostern 1913 von dort zum Humanistischen Gymnasium (Leitung Professor G. Wendt). 1923 bis 1926 erhält sie Unterricht in der Lichtwarkschule in Hamburg bis zur Reifeprüfung. (Loki und  Helmut Schmidt sind ehemalige Schüler. Wiederholt beschrieben sie den großen positiven Einfluß ihrer Schulzeit auf ihre individuelle und spätere berufliche Entwicklung).

Ihr dort erworbenes Abitur weckt großes Interesse an Kunst und Geschichte. Wie gern hätte sie an dem jetzt schon berühmten Bauhaus in Dessau studiert! Doch ihr Vater, ordentliches Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, mit ausgeprägtem Sinn für die noch junge Demokratie,  und ihre Mutter wollen ihre wohlerzogene und gut ausgebildete Tochter nicht zu „diesen Kommunisten“ gehen lassen. Es gelingt ihnen, ihre Tochter Erna zu überzeugen. Sie schreibt sich 1926 bis 1927 in Hamburg an der Philosophischen Fakultät ein. Sie ist so jung und will ausprobieren, was ihr am besten zusagt: im Sommersemester ist sie in München, und später dann für ein Wintersemester in Paris. Von hier findet sie zurück nach Hamburg und belegt ab Sommer 1930 die Fächer Kunstgeschichte, Archäologie und Historische Hilfswissenschaften.

Die Lehrer des noch jungen Studiengangs Kunstgeschichte an der Universität Hamburg arbeiten eng zusammen mit einem „privatisierenden“ Gelehrten, Aby Warburg. Dieser vermögende Bankierssohn hat  z w e i große Leidenschaften: Die Wanderung der Bilderwelt durch die Menschheitsgeschichte (Beispiel: Symbol der DEA-Tankstelle: der Windgott aus der Antike bläst (Fahrtwind)zu) zu erforschen und dies in einer unvergleichlichen Büchersammlung zu diesem Thema zu dokumentieren, ja mit dieser Bibliothek spezielle Forschungsaufgaben zu verbinden.

Ihre Lehrer waren vor allem Fritz Saxl, Ernst Panofsky, Pinder, Millet und Dr. von Tolnay (Kunstgeschichte), von Mercklin und Wolters (Archäologie) und Salomon und Fräulein Dr. Jaffé (Historische Hilfswissenschaften).

Dr. Fritz Saxl wurde von Aby Warburg zur Betreuung der umfangreichen Bibliothek eingestellt. Das neue Bibliotheksgebäude war 1926 bezogen worden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bibliothek bereits einen Umfang von ca. 20.000 Büchern. Die Hansestadt Hamburg besaß damit ein interdisziplinäres Wissenschaftszentrum mit dem großen Thema: Der Einfluss der Antike auf die nachantiken Kulturen.

Der Grundstein dieser Bibliothek trägt die Inschrift: „Dem guten Europäer“.

Die ersten Seminare für Kunstgeschichte wurden in der Universität Hamburg gegeben. Lehrende der Universität waren gern gesehene Gäste in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg

Die ebenfalls noch junge Hamburger Kunsthalle hatte mit ihrem ersten Leiter Alfred Lichtwark  einen entschiedenen Befürworter der Öffnung der Museen, er förderte Bildung durch Kunst und Anschauung. Sein Nachfolger (1914) Gustav Pauli konnte hier als „der Dritte im Bunde“ gelten.

Und hier, in diesem jungen, außerordentlich innovativem Wissenschaftsbereich, etablierte sich Erna Mandowsky. Bald schon steuerte sie auf ihr Dissertationsthema zu: „Untersuchungen zur Iconologie des Cesare Ripa“, betreut durch Dr. Fritz Saxl.

Im Frühjahr 1932 geht sie studienhalber nach Italien, vor allem nach Florenz, Siena, Pisa, Perugia und Rom, um in Archiven Materialien für ihre Dissertation über Cesare Ripa (1560 – 1623) zusammenzustellen. Es gilt, über diesen Autor, über den fast nichts bekannt und dessen Werk in Vergessenheit geraten ist, die visuellen und literarischen Quellen, seinen intellektuellen Umgang und den philosophischen Hintergrund seines Werkes zu erforschen. Die junge Wissenschaftlerin nutzt geschickt ihre ausgezeichneten Verbindungen zu Privatarchiven und Bibliotheken. Außerdem stellt sie eine Liste von Personifikationen Ripas mit Beispielen ihrer Anwendung in der bildenden Kunst zusammen.

In den wenigen Monaten von Frühjahr  bis Herbst  wächst ihre Arbeit schnell an und sie kann im Herbst 1933 eine moderne Einführung in Cesare Ripas Werk vorlegen.

Sie wird in Zukunft bis heute als “die wichtigste Interpretin der in der Renaissance entstandenen “Iconologia” von Cesare Ripa zitiert (A. Zimmermann, “Der akademische Affe”)

Die politischen Umstände in Deutschland sind bei ihrer Rückkehr bedrohlich. In ihrer Heimatstadt Hamburg werden jüdische Geschäfte von den Nazis geschlossen. Auch Max Mandowsky wird gezwungen, seine „Apotheke zum Freihafen“ einer deutschen „arischen“ Apothekerin zu übergeben: er verliert auch seine Stellung in der Hamburger Bürgerschaft und die des Direktors einer Hamburger Pharmazeutischen Organisation.

Außerdem ermöglicht die nationalsozialistische Novelle des Gesetzes über das Berufsbeamtentum ihre Lehrer im kunsthistorischen Seminar der Universität Hamburg, soweit sie jüdischer Abstammung sind, zu entlassen. Das Gerücht von Emigrationsplänen ihrer wichtigsten Betreuer, den Professoren Erwin Panofsky und Fritz Saxl, macht die Runde. Die beiden gehörten zu den engsten Mitarbeitern der Warburg-Bibliothek.

Im November 1933 bestätigen sich Erna Mandowskys Befürchtungen. Ihre Lehrer Erwin Panofsky, Fritz Saxl und Gertrud Bing (eine spätere Direktorin des Warburg-Instituts) sowie einige wenige Eingeweihte emigrieren am 12. Dezember 1933 samt der 60.000 Bücher, der photographischen Sammlung mit 25.000 Abbildungen, Regale, Möbel und Gerätschaften der Warburg-Bibliothek auf den zwei Frachtern „Hermia“ und „Jessica“ nach London.”The Transfer of the Warburg Institute to England in 1933

Dies gelang nur durch eine nahezu unglaubliche Mischung aus Diskretion und Organisation. Im offiziellen Jargon heißt es , die Bibliothek wird „verliehen“.

Trotz dieser verschärften Bedingungen bringt sie ihre Arbeit nach ihrer Rückkehr aus Italien so weit voran, dass sie bereits im Frühjahr 1934 bei den Professoren W. Burmeister und G. Pauli das Rigorosum über ihre „Untersuchungen zur Iconologie des Cesare Ripa“ mit „summa cum Laude“ ablegen kann.

In Deutschland will und kann sie nicht bleiben. Ihre einzige Hoffnung wird die soeben in London Fuß fassende Warburg-Bibliothek. Die ist bereit, als ihr Sponsor aufzutreten und erklärt sich, wenn auch nur auf dem Papier, bereit, sie finanziell zu unterstützen. Nur dies ermöglichte ihre Ausreise, rettete wahrscheinlich ihr Leben, auch wenn sie tatsächlich nie materielle Hilfe vom Warburg-Institute erhielt. Wie für sie, wurde die Warburg-Bibliothek nun auch für viele andere zur Emigration gezwungene jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht allein wissenschaftliche Herberge, sondern vor allem zum Ort der tatkräftigen Unterstützung und Beratung.

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